Dieser Beitrag wurde hemmungslos geklaut, will meinen zitiert, aus der Motorrad 17/02.

Der Italo-Trip

von Markus Schließ

Mit einer Ducati 750 S von 1974 und einer kaum jüngeren Guzzi Le Mans II ins Elsass.
Ob moderne Maschinen die gleiche Ausstrahlung entwickeln können und die Fahrer ähnlich befriedigt ans Ziel bringen ?

Zwei Unterhosen, Shorts, ein T-Shirt, Wanderschuhe, Werkzeug, ein Sixpack. Das passt alles in einen Elefantenboy. Und die Motorradklamotten, die man am Leib trägt. Das genügt. Dazu noch je zwei Borrani-Felgen mit italienischen Reifen in italienischen Fahrwerken und ein Motor mit keinesfalls mehr als zwei Zylinder, die durch italienische Vergaser atmen. Erlaubt ist nur Stoßstangen- oder Königswellensteuerung und das Ganze minimal 22 Jahre alt. Das reicht - und nun aber ab nach Frankreich, die Reifen rundschmirgeln, die französischen Ohren mir der Conti- und Lafranconi-Symphonie verwöhnen.

Wir sind die Zentauren, Axel und ich. Freitagabend. Milde Wärme in Esslingen, mildes Licht. Handballenprobe: lauwarmer Asphalt, kalte Reifen. Jungfräuliche Reifenschultern. James, bitte starten sie die Motoren und schieben sie die Autos beiseite, sie stören doch sehr. Axel gürtet sich über die schwarze Harro-Protektorenkombi seine alte Barbour-Jacke und zieht den schwarzen Arai-Helm über den Kopf. Denn eines steht jetzt schon fest - wir werden nicht bummeln und wir werden in keiner Schlange hinten stehen. Traditionen müssen bewusst gewahrt und gepflegt werden, nur wichtige Punkte gehören weiterentwickelt.

In Gedanken fährt Mike Hailwood mit. Der Zentaurengott. Auf einer Vierzylinder-MV. Keine Frage. Kannst du uns hören, Mike? Siehst du uns? Mike antwortet nicht, aber ich werde noch oft mit ihm kommunizieren. Mit Taglioni spreche ich eher selten, er ist dem Mechaniker näher als dem Fahrer, der Schraube näher als dem Reifen. Gut so - schließlich soll man sich immer auf eine Sache konzentrieren, und zwar richtig.

Einfach nur fahren  

Glück ist, wenn alles andere keine Rolle mehr spielt,  
wenn einen das Hecheln der offenen Delortos erfreut  



Den Moment genießen  

Manchmal ist es gut, ohne Ziel unterwegs zu sein.  
Das hält den Kopf frei
  


Ab jetzt konzentrieren sich zwei Menschen um die Vierzig, die seit zwanzig Jahren leidenschaftlich Motorrad fahren, zusammen mit ihren zwei betagten Motorrädern auf eine einzige Sache. Auf's schnelle Fahren über Landstraßen, die nur selten auf direktem Weg irgendwohin führen. Das ist gar nicht so schwer, wenn man kein Ziel hat außer der Himmelsrichtung: Westen. Dafür hat schon Magellan ein Kompass genügt. Leider ist die Navigation per Gestirne zu umständlich beim Fahren. Aber angemessen wäre es.

Erst mal Instrumente stimmen. Ich habe bei der Duc kleinere Hauptdüsen montiert, weil das Kerzenbild permanent zu dunkel war. Gasannahme nach wie vor gut.Und wieder freue ich mich über den göttlichen Veglia "contagiri per competizioni", der erste Tacho, der ein weißes Zifferblatt hatte und diesen Präzisionszeiger, der der 100er-Skalierung überhaupt erst einen Sinn gibt. Und über das Hecheln der offenen, besiebten Dellortos, in denen herrliche neue Schieber oszillieren.

Erste Haarnadelkurve hoch zum Lochen, die Straße breit und frei. Die Pirellis sind warm, kein Zweifel. Das Vorderrad morst geschmeidigen Grip beim sanften Griff in den rechten Hebel. Das geht jetzt ganz präzise, doch erst, seit ich nach jahrelangem Suchen eine zweite Bremsscheibe für die rechte Radseite gefunden und montiert habe. Angeblich von einer SS. Nicht mal Paul Smart hatte das 1972 in Imola an seiner Speed-Diva. Denn die Bremserei, das wissen die Jungs auf ihren modernen Speed Triples nicht, war ein Elend in den Siebzigern. Und streng genommen habe ich gegen Stahlflex und Mehrkolbensättel gar nichts einzuwenden. Auch nicht gegen Speed Triples.

Kurz nach dem Scheitel meldet der hintere Pneu beim Gas anlegen, Bereitschaft zum Kraftschluss, er wird bedient und schlenzt mich satt gegen die Steigung hoch zur nächsten Haarnadel. Axel ist wie immer dichtauf, ausgangs der Kurve sehe ich im Augenwinkel sein Vorderrad rotieren. Unbeschwerter Pas-de-deux, Ballet ohne Choreographie und dieses wohl uralte Gefühl, auf der Jagd zu sein. Herrlich. Alles löst sich auf in Klang und Kraft, in Zug und Druck.

  So wenig wie möglich

  Für's Gepäck und ein Sixpack genügt ein Elefantenboy.
  Nun ab nach Frankreich, die Reifen rundschmirgeln



Eigentlich sollten wir mal wieder zum Mont Ventoux, fällt mir in der Hundertstelsekunde zwischen den durchschnittenen Schlagschatten zweier Schwarzwaldtannen ein. Oder nach La Palud. Oder nach ... Junge, das Hinterrad ist gerade deutlich weggeglitscht. Wo bist du und was machst du? Soll dein Kumpel dich von den Tannen kratzen?

Ob's Axel, der längst vorn fährt, gleich merken würde, wenn ich im Rückspiegel fehle? Sitzt auf seinem Einbaum wie die US-Dirt-Track-Legende Mert Lavill. Ich hoffe, ich sitze wie Mike Hailwood. Mike, hörst du micht? Ich sitze wie du! Vor uns sucht ein badischer Biker die Freiheit. Fast hätten wir ihn überfahren, so flach und breit rodelt er über den Pass. Und plötzlich noch einer. Ach ja, sie suchen die Freiheit seit Wyatt und Billy immer zu zweit. Eigentlich so wie wir. Ich muss grinsen.

Kurz vor der französischen Grenze. In irgendeinem Dorf. Endlich eine Zigarette. Axel wühlt in seinem Tankrucksack, der schon ganz grau ist von unzähligen Regenschauern in allen Teilen Südeuropas. Alpenregen, Pyrenäenregen, Vogesenregen, Abruzzenregen. Und gebleicht von der sengenden Sonne Kroatiens, der Cote d'Azur, des Massiv Central.

Wir haben das Material vorsätzlich nicht geputzt. Jedes Staubkorn, jeder Teerfleck hat seine Geschichte, und wir sind sehr geschichtsbewusst. Ich gebe zu, dass ich mir neue Edelstahlspeichen gegönnt habe. Sieht man aber schon nicht mehr und Axel habe ich nie davon erzählt. Bitte nicht petzen.

  Für immer verbunden

  Wir denken an Mike Hailwood.
  Sollen andere Biker andere Götter haben


Nur die Kette ist sorgfältig geschmiert und gespannt. Da bin ich eigen, seit einem Kumpel dieses Kilo Metall zuerst ums Kettenblatt und dann um die Ohren geflogen ist. Er hat Glück gehabt. Ducati gibt's eben nur mit Kette. Ein bischen neidisch bin ich ja schon. Auf Axels Kardan. Bin selbst zehn Jahre Guzzi V7 Sport gefahren.

Die Vogesen bauen sich vor uns auf. Axel fährt immer noch voran. Er ist einfach der bessere Scout. Den Job habe ich ihm nicht freiwillig überlassen, sondern sowas spielt sich über zigtausend Kilometer ein. Axel bremst zwar früher, dafür nutzt er die Kurven besser, hat die schnellere Linie - und halt mehr Power, kann ausgangs der Kurve einen sauberen, kleinen Drift vorlegen. Doch manchmal schlüpfe ich an ihm vorbei, zeige ihm, was die Duc und der Asphalt hergeben. Schließlich stammt meine Macchina in direkter Linie von einer Motorradlegende ab: 750 SS-Taglioni-Smart-Imola ... tutt'a posto, auch ohne Desmodronik.

Unsere Leidenschaft  

Zwei Zylinder italienischer Herkunft  


Die wilden Franzosen kommen. Sofort erkennbar, es ist ihre Hausstrecke. Wage es nicht sie herauszufordern. Sie sind 18 und fahren ihre Maschinen mindestens so leidenschaftlich, wie ihr Gott Rossi. Oder Biaggi. Und sie riechen nach Castrol R. Sie toben, bremsen sich ein, aus, ab, wie ein jubelnder Schwalbenchor hoch in den Lüften. Sie schneiden, täuschen, überholen, und wenn die Hausstrecke zu Ende ist, brechen sie erschöpft vom Kreisen um den Erdmittelpunkt über ihren Tanks zusammen. Störe ihre Kreise nicht, sie sind zu allem bereit. Lass sie ihre Schlachten schlagen. Wir lassen sie ziehen. Abends sehen wir sie in einer Bar wieder, gierig an einer Gauloises Blondes saugend, zwischen Flipper, Videospiel und irgendwelchen kichernden, tuschelnden kleinen Französinnen.

  Unser Leben

  Wie viele Tage und Nächte haben wir eigentlich so gesessen
  und geplaudert



Gut und knusprig ist der Flammkuchen, freundlich Madame Freppel, "La Patrone" des kleinen Landhotels. Sie zeigt uns die Zimmer, die aussehen, als hätte schon Napoleon oder jedenfalls de Gaulle dort übernachtet, vielleicht sogar im selben Bettzeug. Deswegen lieben wir sie.

Die Stunde der Sixpacks ist gekommen und mit ihnen Zeit für Reflexionen. Wie viele Nächte haben wir eigentlich so vertrunken und verraucht zwischen dem Plateau des Milles Vaches und dem Louberon, wie viel Dosen Becks und Flaschen Cotes du Rhone dabei weggezaubert? Haben gelacht und manchmal auch geweint, über Frauen geredet und ihren Zauber, der ebenso wie der der Motorräder nie endet. Gehofft, dass es nicht aufhören möge, dass morgen auf jeden Fall die Sonne scheinen werde. Wir gehen noch mal raus, gucken, ob der Himmel wirklich sternenklar ist. Nach der Rückkehr ins Zimmer ein letztes Bier und der Wunsch, noch einmal in dieser Nacht unsere Gedanken in Rauch aufgehen zu lassen.


Das durchgelegene Bett. Die Tapete, die sich überall von der Wand abpellt. Der verspätete R4 mit kaputtem Auspuff, der eine Horde johlender Franzosen irgendwohin bringt, ein frisiertes Moped, und dann ist es still. Morgen muss ich als erstes nach dem Öl sehen - nach dem Öl - und der Kette - Kurven - hoffentlich scheint die Sonne ... Schlafen.

Als ich aufwache und den Kopf in den beginnenden Morgen rausstrecke, ist es kalt. Aber schön. Hallo Axel. Bonjour, Cafe au lait, bonjour, pain au chocolat. Bonjour an alle. Aufsatteln. Kompass ausrichten. Nach Westen. Da sind wir wieder, waren nie weg.

Grand Ballon d'Alsace. Wolkenfetzen kämmen die Baumgipfel, streicheln die Bergkuppen. Der Mont Ventoux da unten im Süden. Hat uns gerufen. Wir haben noch 20 Stunden und eine saubere Unterhose. Das reicht. Und wir werden wieder nicht zum Wandern kommen.

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